Zurück ins winterliche Mittelalter
Schneefälle wie Ende November 2005, Schnee überhaupt zu sehen, das wäre heute, 20 Jahre später, eine wohl sehr große Überraschung. Damals prägte der Schnee aber das Münsterland, das Bild der abgeknickten Strommasten eine Generation. Wie Wettringen das Schneechaos erlebte, berichten die damals Verantwortlichen.
Von Fabian Kronfeld / MV

Schneemassen soweit das Auge reichte, wenige Fahrzeuge kamen am letzten November-Wochenende 2005 an der Burgsteinfurter Straße im Dorf noch durch. In den Bauerschaften war da bereits kein Durchkommen mehr. | Foto: Archiv Rauen
Während sich Familien in den Bauerschaften des „Hiärtkens van de Wiält“ teils an den Holzofen drängten und Wasser auf altmodische Art im Kessel erhitzten, weil der Strom ausgefallen war, herrschte im alten Feuerwehrgerätehaus an der Hügelstraße vom 25. November 2005 bis über das folgende Wochenende eine andere Art der winterlichen Gemütlichkeit. Eine der engen Art.
Koordinierung im beginnenden Chaos
Platz war in der Zentrale der Einsatzkräfte für den Raum Wettringen im Rahmen des Schneechaos vor 20 Jahren Mangelware. Zusammen mit den Kameraden aus dem Dorf fanden teils weitere Einsatzkräfte des Deutschen Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerkes und anderer Feuerwehren ihren Dreh- und Angelpunkt vor. Das Schneechaos, erinnert sich Mathias Krümpel, „zeigte auch, dass das alte Gerätehaus für mehrtägige Einsatzlagen nicht ausgelegt war. Krümpel war als Brandinspektor mit dem damaligen Wehrführer Bernhard Wolbeck in der Einsatzleitung aktiv – Werner Henrichsmann war als stellvertretender Kreisbrandmeister auf Kreisebene gefordert.

Dreh- und Angelpunkt der Einsatzkräfte war der Schulungsraum im alten Feuerwehrgerätehaus an der Hügelstraße. | Foto: Feuerwehr Wettringen
Dass Krümpel im Gerätehaus eine Woche rund um die Uhr Dienst verrichten sollte, um die Aufräum- und Versorgungseinsätze zu koordinieren, damit war am Freitagvormittag, 25. November, noch nicht zu rechnen, als es bereits ohne Pause heftig schneite. „Der erste Einsatz war am frühen Nachmittag. Eine abgebrochene, stromführende Starkstromleitung hing im Bereich Bilk/ Klein-Haddorf auf den Acker durch“, erinnert sich Krümpel. „Dann folgten die Einsätze Schlag auf Schlag.“ Einsatz-Schwerpunkte waren die Bauerschaften: Bilk, Haddorf, Klein-Haddorf, Maxhafen sowie Teile der Brechte und Rothenberge-Hinterberg.“ Rund 15 Prozent der Wettringer Haushalte waren von Stromausfällen und einer fehlenden Wasserversorgung betroffen. „Dass viele kein Wasser hatten, da auch die Pumpen vom Strom abhängig waren, ist heute nicht mehr so im Bewusstsein“, weiß Krümpel. „Hinzu kamen anfangs Schneehöhen von teilweise 30 bis 40 Zentimeter auf der Straße. Wir konnten uns nur langsam vorankämpfen. Auf dem Bilker Berg lagen die Autos wie auf einer Perlenkette gezogen im Graben.“ Kein Durchkommen auf den meisten Straßen außerhalb des Dorfes.+

Die Einsatzzentrale von Mathias Krümpel (l.) im viel zu kleinen Büro. Stehend in der Mitte holt sich der heutige Wehrführer Thomas Henrichsmann seine nächsten Aufträge ab. | Foto: Feuerwehr Wettringen
„Beim ersten Einsatz war ich noch vor Ort, danach habe ich das Gerätehaus eine Woche nicht mehr verlassen“, erinnert sich Krümpel. Ordnungsgemäß freigestellt beim Arbeitgeber dank eines Schreibens der Gemeinde. Bereits in der Nacht zum Samstag wurde im Feuerwehrgerätehaus ein Lagezentrum eingerichtet, um die Hilfseinsätze zu koordinieren.

Traktoren mit Schneeschildern räumten in den Siedlungen die Straßen. | Foto: Archiv Rauen
Engelbert Rauen, damals Bürgermeister, war an diesem Freitagnachmittag noch gar nicht in Wettringen, sondern bei einer Feier mit Landrat Thomas Kubendorff in Emsdetten. „Seit dem Mittag hatte der Schneefall ständig zugenommen. Zwischen 16 und 17 Uhr wurde Landrat Kubendorff mit einem Polizeiwagen direkt zum Lagezentrum des Kreises Steinfurt gefahren, um dort mit den Hilfsorganisationen, insbesondere auch Feuerwehr und THW die Einsätze im Kreis Steinfurt zu koordinieren“, weiß Rauen. Derweil waren Freiwillige Feuerwehr und Bauhof längst in Wettringen aktiv. „Es war kaum möglich, mit den Fahrzeugen des Bauhofes, mit Traktoren und Schneeschildern, die Hauptverkehrsstraßen freizuhalten.“
Versorgung der abgeschnittenen Bauerschaften
Abgeknickte Strommasten wie in Ochtrup waren in Wettringen nicht zu finden, aber beschädigte oder durchhängende Leitungen. „Während im Ortskern der Strom nur für einige Sekunden ausfiel, war die Lage in den Außenbereichen deutlich ernster“, erzählt Mathias Krümpel. Immerhin alte, analoge Telefone hätten noch funktioniert – auch im Rathaus, weiß Engelbert Rauen. Der Schwerpunkt der Feuerwehr lag in der Sicherstellung der Stromversorgung der landwirtschaftlichen Betriebe. „Soweit möglich, wurden einige Bauern, die seit der Nacht auf Samstag keinen Strom mehr hatten, mit Generatoren versorgt, um vor allem die Melkmaschinen und die Lüftungen der Stallungen anzutreiben“, berichtet Rauen.

Beschädigte und durchhängende Stromleitungen waren gerade in den Bauerschaften zu finden, wo der Strom ausfiel. | Foto: Feuerwehr Wettringen
Der Stromausfall vor allem in den Bauernschaften forderte aber den Einsatz der Feuerwehr ebenso, sich um die Versorgung der alten Menschen zu kümmern. „Haus für Haus haben wir in den Außenbereichen auf- und abgesucht. Wir wollten insbesondere sicherstellen, dass keine Personen in erkalteten Wohnungen zu Schaden kommen oder beispielsweise krankheitsbedingt auf eine Stromversorgung angewiesen waren“, berichtet Krümpel. „In einem Haus haben wir uns auch gewaltsam Zugang verschafft, als niemand öffnete. Glücklicherweise haben wir die Person später gesund an anderer Stelle angetroffen.“ Es habe auch schwierige Situationen in der Abwägung gegeben, welcher Betrieb als Nächstes mit Strom versorgt wird. „Ich habe da auch einige den Umständen geschuldete, hochemotionale Gespräche in Erinnerung“, weiß Krümpel.

50 Hochspannungsmasten im Münsterland waren nach starken Schneefällen eingeknickt oder nicht mehr funktionstüchtig. | Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb
Mit unterwegs war über den Samstag, 26. November, auch Engelbert Rauen, um im Außenbereich Hilfe anzubieten. Eine von der Gemeinde in der teils geschlossenen Schule eingerichtete Notunterkunft musste nicht in Anspruch genommen werden.
Hilfe aus ganz Deutschland
Für die folgende Woche wurde im Feuerwehrgerätehaus ein 24-Stunden-Schichtbetrieb eingerichtet, „wobei insbesondere die Elektriker unter den Einsatzkräften besonders stark gefordert waren“, erinnert sich Mathias Krümpel. Die meisten Kameraden wurden aufgrund ihrer Ortskenntnisse als „Scouts“ für die ab Montag, 28. November, unterstützenden Kräfte aus Nordrhein-Westfalen und aus Hessen eingesetzt, um besonders Generatoren einzusetzen, um die Stromversorgung zu sichern, etwa mit einem leistungsfähigen Stromversorger in Bilk.

Navis gab es nicht. Wettringer Scouts führten Einsatzkräfte der unterstützenden Feuerwehr Wiesbaden und des DRK samt Generator auf die Höfe, hier in der Brechte. | Foto: Feuerwehr Wettringen
Neben dem Deutschen Roten Kreuz, waren Helfer des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Untertaunus, der Stadtwerke Bochum, des Technischen Hilfswerkes (THW) Brilon aktiv. „Insbesondere die Berufsfeuerwehr Wiesbaden hat uns mit rund 40 Einsatzkräften zur Seite gestanden“, erinnert sich Mathias Krümpel. Unterkünfte hatten die auswärtigen Kräfte beim Spargelhof Lastering in Bilk.

Ein leistungsfähiger Stromversorger der Stadtwerke Wiesbaden versorgte den Bilker Ortskern. | Foto: Feuerwehr Wettringen
Die Wettringer Einsatzkräfte versorgten sich im Feuerwehrgerätehaus. „Es war eine Woche, in der wir an unsere Grenzen gegangen sind. Wenn jemand zur Ruhe kommen wollte, konnte er die Feldbetten im Schulungsraum nutzen. Hier wurde auch die Verpflegung ausgegeben. Am ersten Abend haben wir das Weihnachtsessen einer Gaststätte geholt“, schaut Krümpel zurück.

An den Straßen sorgte die Feuerwehr für die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit. | Foto: Feuerwehr Wettringen
„Der Einsatz im Schneechaos hat uns als Feuerwehr aber wirklich zusammengeschweißt. Das Zusammenspiel von Gemeinde, Bauhof, Feuerwehr und den auswärtigen Hilfen hat insgesamt gut funktioniert“ zieht Krümpel ein positives Fazit. Auch in der Bevölkerung hat jeder jedem geholfen. Die Hilfsbereitschaft war groß.“ Ab Dienstag, 29. November, entspannte sich die Lage dann schließlich.
Besser vorbereitet
Seit dem Schneechaos haben sich Gemeinde und Freiwillige Feuerwehr „besser auf solche und ähnliche Ereignisse vorbereitet“, weiß Engelbert Rauen. Etwa über neue leistungsfähige Generatoren und Einsatzabläufe. Falls der Schnee das Münsterland wieder zurück ins Mittelalter schicken will...